William Beebe – eine schillernde Legende Teil 2 Von Michael Kranzler Fortsetzung aus der TH 13 Fehlschläge und Probleme Im Frühjahr 1932 erkrankt Beebe und muss das Bett hüten. Schon länger plagen ihn Infektionen der Stirnhöhle. Auf Empfehlung seiner Ärzte versucht er, sich im heißtrockenen Klima der Mojave-Wüste zu kurieren. Als ihn ein reicher Gönner einlädt, auf seiner Yacht an einer Karibikkreuzfahrt teilzunehmen, nimmt er dankbar an. Will und Gloria studieren dort 6 Wochen lang die Fische der Uferzone. Diese Anstrengung bekommt ihm besser als die Passivität in der Wüste. Sein Buch „Nonsuch, Land of Water“ erscheint.1 Neben dem Helmtauchen beschreibt er Fische, Meeresschnecken, Krabben und Vögel, aber auch Geologie, Naturgeschichte und Wetter der Insel. Im Sargassum-Tang finden sie winzige, bisher nicht identifizierte Eier. Will kann nachweisen, dass es die Eier von fliegenden Fischen sind, indem er sie beharrlich aufzieht, bis er die Flossenstrahlen zählen kann.2 Wegen der Depression fehlt für ausgedehnte ozeanografische Unternehmen das Geld. Darum nimmt sich Will für heuer nur vor, im August mit der Bathysphäre eine halbe Meile tief hinab zu tauchen. Als Mutterschiff dient jetzt die >Freedom<, auf die Mast und Ladebaum von der >Ready< montiert worden sind sowie die reparierte Winde. Als auch Barton eintrifft, können die beiden Männer wieder nicht unbefangen miteinander umgehen. Um die Kreaturen der Tiefsee filmen zu können, ersetzt Otis den stählernen Stöpsel im dritten Fenster „unfachmännisch“, wie er selbst sagt, durch Quarzglas.3 Der Radiosender NBC ist mit einem Aufnahmeteam angereist, um für seine Hörer den neuen Rekord live zu übertragen. Beebe geht es aber nicht nur um eine größere Tiefe als je zuvor. Er braucht vor allem wissenschaftliche Entdeckungen, um Zweifler und böse Zungen zum Schweigen zu bringen. Denn der neue Direktor der Bermuda Station und einige andere Wissenschaftler möchten den „Forschungsreisenden und Eroberer“ samt seinem Team am liebsten aus der Biologischen Station los werden.4 Doch ein Hurrikan verzögert das Vorhaben. Für den nächsten Test lässt Will alle Einbauten aus der Bathysphäre entfernen und diese auf über 900 m absenken. Beim Hochziehen ächzen Winde und Ladebaum bedenklich. Als die Kugel endlich an Deck steht, ist ein scharfes Zischen zu hören und aus der Einfassung des neuen Fensters schießt ein feiner Wasserstrahl. Die Kugel ist vollgelaufen. Wären die beiden an Bord gewesen,... Doch Will überwindet den Schrecken schnell. Er misst die Temperatur des nach dem Öffnen verbliebenen Wassers und schließt daraus, dass das meiste in einer Tiefe von etwa 600 m eingedrungen sein muss. Schwer abschätzen lässt sich, warum Will später in seinem Buch den Verursacher des Schadens nicht namentlich nennt. Er schreibt nur: „Einer von uns… “5 Ist das geballte Geringschätzung oder rücksichtsvolle Schonung? Vermutlich das letztere, denn Will schreibt eher beschönigend über Personen, selbst wenn er mit diesen heftige Auseinandersetzungen gehabt hat. Noch auf der Rückfahrt in den Hafen diktiert er einen Bericht, um ihn sofort nach New York zu kabeln. Dort stürzen sich die Medien darauf und steigern damit die erwartungsvolle Spannung auf die kommende Radioübertragung. Für Otis hingegen bedeutet der Verlust des dritten Fensters ein Fiasko. Seine Hoffnung auf umfangreiche Filmaufnahmen in der Tiefe ist damit zerstört. Der Stahlpfropfen muss wieder eingesetzt werden, und erst nach zwei weiteren Versuchen bei schlechtem Wetter gelingt es, ihn sicher abzudichten. Stimmen aus der Tiefe Als letzter möglicher Tag für die Rundfunksendung bleibt nur der 22. September 1932, denn anschließend muss das Radio-Team heimfahren. Trotz rauer See muss der Rekordversuch also durchgezogen werden. Die Sendung wird von 41 Radiostationen in den USA ausgestrahlt und über das Transatlantikkabel nach Großbritannien und Frankreich übertragen.6 Die erste halbe Stunde beschreibt ein Reporter Vorbereitungen, Ausrüstung und Aufbruch. Im zweiten Teil der Übertragung berichtet Will direkt aus der Tiefe über seine Beobachtungen. Er ist absolut seefest, Otis‘ Magen dagegen ist empfindlich. Das Schlingern und Schaukeln des Schiffs lässt die Kugel noch in der Luft wild herum pendeln und auf und nieder tanzen. Die Insassen werden hin und her geworfen. Schon bald wird Otis seekrank, und obwohl er tapfer dagegen ankämpft, muss er sich übergeben. Gloria oben an Deck hört übers Telefon Will plötzlich entsetzt rufen: „Oh God, Otis, not now! “7 Schlimmer noch: Wegen Wills unerwartet lautem Ausruf hält Gloria den Hörer vom Ohr weg und die Crew hört mit. So wird der Satz an Bord zum spöttischen geflügelten Wort. Im Moment aber verkneift sich Beebe jeden weiteren Kommentar. Auch in seinen späteren Publikationen übergeht er diesen strapaziösen Zwischenfall diskret. Otis hingegen bekennt offen, dass er „sich selbst dadurch auszeichnet, der erste Mensch zu sein, der je bei einem Tiefseetauchgang seekrank wurde “.8 Dennoch will keiner der beiden den Versuch abbrechen, obwohl sie schon blaue Flecken und Schrammen abbekommen haben und ständig umher geworfen werden, zu ihren Füßen eine übelriechende Brühe. Zudem reagiert der aus den Schalen geschleuderte Atemkalk mit dem „Bilgenwasser“. Trotz dieser misslichen Umstände erreichen sie gute 670 m, ein neuer Rekord. Immer wieder staunt Beebe darüber, in welch großen Tiefen sie sogenannte „Oberflächenfische“ antreffen. Bild01: Mit jedem neuen Rekord erobern die beiden Pioniere Tiefen, die bis dahin kein lebender Mensch je erreicht hat. Aus: Modern Mechanix and Inventions Nr.7 vom Juli 1934, S.56 Bei dieser ersten Live-Übertragung von außerhalb der USA sind die Zuhörer direkt dabei. Aus der Tiefe verabschiedet sich Will mit den Worten: „Otis Barton und ich sagen Ihnen Lebewohl aus einer Tiefe von 2.200 ft unter der Oberfläche des Atlantiks vor Bermuda.“9 Wieder zurück an Deck, schlägt Otis wenig Mitgefühl entgegen. Er allein muss die Kugel innen reinigen, und Jocelyn leiht ihm eine Flasche Parfüm, mit dem er die Innenwand einreibt.10 Später an Land kabelt Will dem Radiosender NBC und der New York Zoological Society (künftig: NYZS) und schließt bescheiden: „Dieses Unternehmen der NYZS darf ein Erfolg genannt werden.“11 Die große Publicity nützt seinem Department of Tropical Research (Abteilung für Tropenforschung, künftig: DTR) enorm. Die New York Times titelt am nächsten Tag: „Beebe taucht fast eine halbe Meile im Ozean; Rundfunksendung über seltsame Verbindung aus der Bathysphäre.“12 Von Barton wieder einmal keine Rede in der Überschrift. Doch das ist nicht Wills Schuld. Im Gegenteil, sein nachfolgender Text nennt seinen Begleiter sogar zuerst: „Otis Barton und ich sind gerade aus der Bathysphäre geklettert, … “ Auch in Wills handschriftlichem Manuskript für den Rundfunksprecher steht Bartons Name mehrfach, den aber der Kommentator einfach weglässt. Genauso bemüht sich Will in seinen Büchern, Otis ins rechte Licht zu rücken: „Vor Ende 1929 hatte Otis Barton eine Stahlkugel ersonnen und auch gebaut… “13 Doch all diese Empfehlungen nützen wenig; der Name Beebe beherrscht die Berichte. Den Ingenieur an seiner Seite erwähnen die Medien höchstens beiläufig. Ein Beispiel aus einem Technikmagazin:14 Das gemalte Titelbild für den Artikel zeigt die Bathysphäre mit übergroßen Fenstern, durch die beide Männer auf vorbeiziehende Tiefseefische schauen. Die Bildunterschrift lautet: Die Zwei-Tonnen-Stahlkammer […], in der William Beebe und Otis Barton, sein Assistent, 435 m tief unter die Meeresoberfläche hinabstiegen.“ Das bleibt der einzige Hinweis auf Otis. Will dagegen und sogar Gloria werden einzeln auf handkolorierten Fotos abgebildet. Aber es kommt noch ärger: Ein anderes Foto zeigt die Bathysphäre an Deck, daneben stehen Will, John und Gloria. Ihr „Schöpfer“ fehlt. Solche Berichterstattung nagt an Barton. Bis Ende Oktober folgen noch einige Abstiege in geringere Tiefen, an denen auch John und Gloria teilnehmen dürfen, während Otis an Deck bleibt und filmt, wie die Bathysphäre ins Wasser gelassen wird. Seine bisher in der ewigen Nacht der Tiefsee gedrehten Szenen sind zwar die ersten überhaupt, aber sie zeigen – nichts, außer ein paar Lichtblitzen. So ist er seinem Ziel, spektakuläre Aufnahmen aus dem Reich der ewigen Nacht zu erbeuten, auch im Sommer 1932 keinen Schritt nähergekommen. Im darauffolgenden Jahr kommt aus Geldmangel keine Tauchexpedition zustande. Die NYZS muss sogar die ohnehin nicht üppigen Gehälter kürzen. Will schlägt vor, seins auf die Hälfte herabzusetzen. So mancher der Mitarbeiter kann nur bleiben, weil er von anderer Seite unterstützt wird. Die Bathysphäre wird von Mai bis Dezember 1933 auf der Ausstellung „Jahrhundert des Fortschritts“ in Chicago gezeigt. Fast prophetisch hängt dort direkt über der Tiefseekugel der Ballon, mit dem Auguste Piccard über 15 km in die Stratosphäre aufgestiegen ist. Jener Piccard, der später die „Trieste“ entwickelt, mit der sein Sohn Jacques 1960 die tiefste Stelle der Ozeane erreichen wird.15 Weil er dringend neue Geldgeber braucht, wendet sich Will an die National Geographic Society (künftig NGS). Obwohl Bittsteller, will er keineswegs das Heft aus der Hand geben. Er schreibt: „Ich bin begierig, die Tauchgänge [mit der Bathysphäre] zu wiederholen, deren Dauer von 3 auf 4 Stunden auszudehnen und erwarte, viele neue Entdeckungen denen von 1932 hinzuzufügen. Infolge des Risikos und der gleichbleibenden Gefahr muss ich darauf bestehen, die absolute Befehlsgewalt zu behalten und, wen immer sie mir als Fotografen schicken, mir dieser unterstellt ist.“16 Die Gesellschaft stimmt zu unter der Bedingung, dass die Expedition unter dem Namen der NGS abläuft. Beebe, der selbst nur etwa 2 000 $ aufbringen kann, rechnet mit einem weiteren Bedarf von gut 10 000 $. Dafür soll er fürs Magazin zwei umfangreiche Artikel mit zahlreichen Fotos und farbigen Gemälden liefern. Etwas zu verkaufen, was noch gar nicht geschrieben ist, geht Will gegen den Strich, aber er fügt sich und startet die Vorbereitungen. Obwohl er auf Otis wütend ist, weil sich dieser in Briefen an Redaktionen über Beebes Ruhmsucht beklagt hat, hält er sich an die frühere Vereinbarung und lädt Otis im Frühjahr 1934 wieder ein. Nach anfänglichem Zögern willigt Barton ein; den neuen Weltrekord will er nicht Beebe allein überlassen. Wohin kein Sonnenstrahl dringt Die Bathysphäre wird aufgemöbelt: Zwei neue Fenster und der Stahlstöpsel werden eingebaut, alles wird mit verbesserten Dichtungen versehen und das Lüftungssystem automatisiert. Otis besorgt einen regelbaren Generator für den Scheinwerfer. Die volle Leistung von 1.500 W soll beim Filmen und Fotografieren verwendet werden. Bild02: Obwohl die Ausstattung recht fantasievoll dargestellt ist, zeigt dieser Schnitt doch deutlich, wie wenig Raum das Innere der Kugel den beiden hochgewachsenen Männern bietet. Bild: Modern Mechanix, wie Bild 1 Zum Beobachten reichen 250 W, damit sich die Lampe nicht zu stark erhitzt. Das Motto der Saison lautet. „Drei Stunden und eine halbe Meile“ und so tönt jeden Abend der letzte Toast im St. George Hotel. Doch die gereizte Spannung zwischen Beebe und Barton belastet das gesamte Team. Otis ärgert, dass Will laufend den Scheinwerfer belegt, wo doch er ihn für seinen Film so dringend braucht. Will versucht, die feindselige Stimmung zu entschärfen. Allein mit Otis spricht er sich aus und notiert abends in sein Tagebuch: „Mit Otis hatte ich wegen seiner albernen Briefe über meine Jagd nach Publicity einen Zusammenstoß, nach dem er ganz annehmbar war.“ Beiden ist bewusst, dass sie einander brauchen. Doch die Kluft zwischen ihnen werden sie nie überwinden. Eine für ihn aufregende Episode während der Vorbereitungen schildert Barton. Weil für den 7. August 1934 schlechtes Wetter erwartet wird, sagt Beebe am Vorabend den geplanten Testversuch ab. Otis will diese Pause nutzen und gemeinsam mit dem mitgebrachten Kameramann das Filmgerät in die Bathysphäre einbauen. Doch im Morgengrauen ruft Beebe an, das Wetter sei fein, der Schlepper ziehe gerade die Ready aufs Meer und Otis solle um acht am Kai sein und mit dem gesamten Team auf der Barkasse nachfahren. Otis begreift sofort, dass ihm auf der >Ready< keine Zeit bleiben wird für die Montage. Kurzerhand wirft er den Kameramann aus dem Bett, jeder schnappt sich einen Teil der Ausrüstung und beide rennen so wie sie sind zum Kai. Dort springen sie in ein Kanu und rudern wie wild dem Leichter hinterher, der die zwei Frühsportler an Bord nimmt. In fiebernder Hast bauen die beiden die Kamera ein. Kaum sind sie fertig, klettert das restliche Team an Bord. Alle tadellos gekleidet, blicken sie erstaunt auf zwei seltsame Gestalten in ölverschmierten und verschwitzten Schlafanzügen. Wills Miene drückt deutlich Missbilligung aus, einen Kommentar aber unterdrückt er, als Otis verlegen die Situation erklärt. Wenn Will auch am schäbigen Outfit der beiden Anstoß nimmt, so gefällt ihm vielleicht doch, dass Barton diesmal entschlossen gehandelt hat. Später wird er abweichend von Otis schreiben, bereits in der Nacht habe er sich zum Tauchen entschlossen.20 Den nicht salonfähigen Aufzug der beiden übergeht er völlig, zumal Bartons hektische Mühe sich als vergeblich erweist. Die Aufnahmen der 16-mm-Bolex-Kamera, über eine Zeitschaltuhr in rund 900 m Tiefe ausgelöst, sind sämtlich unscharf und zeigen „schmierige Schmutzflecken“.21 Die Entfernung war falsch eingestellt. Dennoch erkennt Otis als einziger einen bonitoförmigen Fisch auf seinem entwickelten Film, der im Lichtstrahl des Scheinwerfers auftaucht, sich dreht und dann im Dunkel verschwindet. Auch Fotoaufnahmen mit Blitzlicht misslingen. Will hält die Kamera an eines der beiden Fenster. Kaum sieht er etwas, ruft er „Jetzt“ und öffnet den Verschluss, während Otis den Blitz auslöst, der durch das andere Fenster nach draußen gerichtet ist. Doch keins der Fotos ist scharf genug. Otis scheint abergläubisch zu sein; ohne seine schmuddelige „Glückskappe“ krabbelt er nicht in die Stahlkugel. So muss einmal der gesamte Stab das Deck fieberhaft absuchen nach dem verbeulten Hut, ehe er sich schließlich findet: Otis saß versehentlich darauf. Am 11. August 1934 erreichen die beiden dann eine Tiefe von 765 Metern. Fast eine halbe Stunde verweilen sie dort. Will beobachtet, Otis filmt. Nach gut drei Stunden wieder an Deck, klettern sie steif aus der engen Kugel. Den neuen Weltrekord verkündet die New York Times bereits am nächsten Tag: „Dr. Beebe taucht 765 m in den Ozean“. Wieder so eine Schlagzeile, die Otis als demütigend empfindet. Denn ihn nennt das Blatt erst im Untertitel.23 Die beigefügten Fotos sind zwar schon zwei Jahre alt, aber im Text beschreibt Will voller Euphorie seine neuen Eindrücke vom Leben in der Tiefsee. Die Frage, warum er nicht versucht habe, die halbe Meile vollzumachen, blockt er ab. Ihm seien die Beobachtungen in verschiedenen Tiefen wichtiger gewesen als das Erreichen einer bestimmten Tiefe. Ausschlaggebend sei fürs Team, dass die Bathysphäre einwandfrei funktioniert habe, vor allem die neue Lüftungsanlage. Ein weiterer Versuch werde vielleicht nächste Woche unternommen. Die folgenden Tage nutzt Will für Tauchgänge mit dem Helm und Fischzüge mit dem Netz. Diese legt er mit Bedacht ins Gebiet des letzten Rekordabstiegs, denn er hofft, eine der dort gesichteten neuen Arten werde ins Netz gehen. Doch von denen findet sich keine in den Maschen, obwohl sie ordentlich Fang anlanden. Dass nicht noch mehr in den Netzen zappelt, wundert Beebe, nachdem er gesehen hat, welch reiches Leben in den Tiefen pulsiert. Während Beebe die Schlagzeilen beherrscht, ist Barton am Boden zerstört. Die Aufnahmen der von ihm selbst bedienten Kamera lassen wieder nichts erkennen. Obendrein wird er zu den Tauchgängen im Helm nicht eingeladen, obwohl er diese Technik durchaus beherrscht. Er erwägt ernsthaft aufzugeben. Doch das bedeutet, Beebe allein den ganzen Ruhm zu überlassen, denn der würde auf jeden Fall weitermachen. Was mag jedes Mal in den beiden Männern vorgehen, wenn sie sich durch den engen Einstieg in die Kugel zwängen? Furcht vor unbekannten Gefahren? Hoffnung auf einzigartige Begegnungen in der Tiefe? Haben sie ausschließlich das Ziel vor Augen oder sind ihnen die drohenden Risiken bewusst? Überwiegt gar die Abneigung, für Stunden zusammengepfercht zu sein mit einem Menschen, den man im Grunde nicht ausstehen kann bzw. der einen nicht respektiert und dadurch immerfort kränkt? Gleichwohl klettert Otis am 15. August 1934 wieder mit in die Bathysphäre, die etwa am selben Platz niedergelassen wird wie beim letzten Abstieg. Ohne Probleme sinken sie immer tiefer; Stopfbuchse, Luke und Fenster halten dicht. Bild03: Der spannende Moment des Eintauchens. 1934 unterstützt die National Geographic Society die Rekordabstiege finanziell. Aus: Lies mit Nr. 16 v. 29.7.1952 In 426 m Tiefe sieht Will einen unbekannten Fisch, beschreibt ihn nach oben und lässt sich seine Darstellung von Otis bestätigen. Der will eigentlich lieber filmen. Dann meldet Gloria nach unten: 3.000 feet. Käptn Sylvester weigert sich, die Batysphere noch tiefer als 3028 ft. abzusenken, denn auf der Trommel liegen nur noch wenige Windungen der Trosse. Als Beebe eine halbe Stunde für Beobachtungen verlangt, gibt ihm der Kapitän wegen der Dünung bloß fünf Minuten, die Will intensiv nutzt. Kaum werden sie höher gezogen, dröhnt ein harter, metallischer Knall durch das Telefon und die Kugel erzittert und schwankt. Beide erstarren; schlagartig wird ihnen wieder bewusst, dass nur ein paar Zentimeter Stahl und Glas sie vor einem jähen Tod bewahren. Aber zum Glück ist nur ein Führungsseil für die dicke Stahltrosse gerissen. Bild04: Nach dem stundenlangen Kauern in der engen Kugel ist es mühsam, über die scharfkantigen Gewindebolzen ins Freie zu klettern. Aus: London Illustrated News v. 19.7.1930 Nach drei Stunden und drei Minuten quälen sie sich aus ihrer engen Schutzhülle, glücklich über den neuen Rekord, der erst nach langer Zeit überboten werden kann. Damit sind die Möglichkeiten der Bathysphäre ausgeschöpft; noch tiefere Abstiege würden eine ganz neue Ausrüstung erfordern. An Gattin Elswyth telegrafiert Beebe: „Tieftauchen vorbei, 3.028 ft. heute, neue Welt, gigantischer Fisch. In Liebe, Will.“24 Die Fotos des sensationellen Erfolgs gehen um die Welt. Bild05: Auch wenn die Bathysphäre aus der Tiefe selbst keine Bilder mitbringt, sind die „Überwasser“-Fotos vom neuen Weltrekord Sensation genug. Illustrated London News v. 1.9.1934 Die folgenden, weniger spektakulären Abstiege erwähnt Beebe in seinem Buch nicht.25 Noch am selben Nachmittag lassen sich Barton und Gloria auf fast 370 m hinab senken. Eine größere Tiefe wird eine Frau erst Jahrzehnte später erreichen. Am 27.8. tauchen Will und John über 460 m tief, und am 11.9. 1934 nimmt Beebe Jocelyn mit auf 350 m. Anschließend dürfen zwei weitere Assistenten etwa 170 m in den Abgrund. Auch während dieser Abstiege werden alle Beobachtungen sorgfältig aufgezeichnet. Den allerletzten Abstieg mit der Bathysphäre unternehmen Beebe und Barton auf 458 m. Noch am gleichen Abend verabschieden sich die beiden Weltrekordler voneinander – für immer. Nie wieder werden sie zusammentreffen. Bild06: Weder im Buch noch in Zeitschriften schreibt Beebe über seine Tiefsee-Tauchgänge die ungeschminkte Wahrheit. In seinem Buch beschreibt Beebe die unterstützende Beteiligung Bartons wahrheitsgetreu. Zwar darf Otis dieses eine Mal an einer Veröffentlichung Beebes mitarbeiten und in einem eigenen Kapitel des Anhangs die Bathysphäre von 1930 beschreiben, dennoch hält Will ihn auf fühlbaren Abstand. Die neu ausgestattete Kugel von 1934 und seinen Tauchgang darin darf Tee-Van schildern. Otis zählt eben nicht zu den Rittern der Tafelrunde, zu den ständigen Mitarbeitern der DTR. Nur Gloria, Jocelyn und John können neben Will bestehen: „Selten haben vier Menschen wohl so an einem Strang gezogen, ein einziges Ziel vor Augen…“26 Zu diesem erlauchten Kreis gehört Otis nicht. Auch das Vorwort des Vizepräsidenten der NYZS nennt neben Beebe nur jene drei Musketiere. Barton hingegen wird nicht einmal bei den finanziellen Unterstützern aufgeführt.27 Langsamer Abschied vom Meer Im folgenden Sommer fischt Wills Team wieder erfolgreich bei den Bermudas. Aus großen Tiefen holen sie Netze voll seltsamen Getiers. Auch 1936 widmet sich das DTR der Meeresforschung. Zunächst segeln John, Jocelyn und Will zwei Monate zu den Kleinen Antillen, wo sie vorrangig über die Ernährung der schwarz- und gelbflossigen Thunfische forschen, aber auch andere Meerestiere und Seevögel untersuchen. Die Einheimischen wundern sich über die Fremden, die auf dem Fischmarkt nach den Innereien geschlachteter Fische fragen und am Strand allerhand Seltsames auflesen. Gloria führt derweil im Auftrag der NYZS eine eigene Expedition in British Guayana. Dabei verwendet sie ein Leichtflugzeug und entdeckt den Kaieteur-Wasserfall, der fünfmal so hoch ist wie der Niagara. Sie selbst sieht sich als Detektiv, der den Geheimnissen der Natur auf der Spur ist.28 Nach dem Krieg engagiert sie sich erfolgreich für den Erhalt der Natur. Sie heiratet 1941 und stirbt 1988 mit 87 Jahren in Connecticut. Kaum zurück aus der Karibik, bricht die eingeschworene Gruppe des DTR erneut auf. Diesmal fahren sie auf der Yacht >Zaca< des Millionärs Crocker in die Baja California. Bild07: Auch nach seinem Weltrekord mit der Bathysphäre betreibt Beebe weiterhin Meeresforschung mit dem Taucherhelm. Zwei Monate arbeiten Will, Jocelyn und John wieder emsig mit Helm, Schlag- und Schleppnetzen, um die Ökologie dieses abgeschiedenen Gebiets zu erforschen. Fauna und Flora an Land und unter der Oberfläche sind zwar erstaunlich vielfältig, in der Tiefsee jedoch fallen die Erträge eher spärlich aus. Eines der Ergebnisse dieser Expedition ist ein neues Buch, siehe Bild07.29 Zum Jahresbeginn 1937 bereiten Will seine Stirnhöhlen von Neuem Probleme. Als dazu noch eine schwere Lungenentzündung kommt, liegt er zwei Wochen auf Leben und Tod darnieder und bleibt lange Zeit krank und schwach.30 Um sich zu erholen, fährt er diesmal mit Elswyth auf die Bermudas. Wissenschaftliche Tätigkeit in vertrauter Umgebung und das milde Klima lassen ihn wieder zu Kräften kommen. Aber die ständigen gesellschaftlichen Verpflichtungen sind mittlerweile so zahlreich, dass er sie unmöglich alle erfüllen kann. So ist er froh, als Crocker ihn zu einer neuen Fahrt auf der >Zaca< einlädt. Die fünfmonatige Reise führt von San Diego die Küste hinab bis Kolumbien. Hauptarbeitsgebiete von Will, Jocelyn, John und George Swanson als Zeichner sind Fische, Krabben und Mollusken, angefangen von den Gezeitentümpeln bis fast 1.000 m Tiefe. Schwerpunkte sind nicht nur neue Arten, sondern ihre Färbungen, ihr Verhalten und die Ökologie. Jocelyn spezialisiert sich auf die Krabben. Für das Buch „Wundersame Küstenfahrt“31 schreibt sie das Kapitel „Tanzende Winker“ gemeinsam mit Will, der hier die begeisterte Forscherin einfühlsamer beschreibt als all seine sonstigen Assistenten. Bild08: Die zweite Fahrt mit dem Schoner >Zaca< führt die Abteilung für Tropenforschung erneut in den Pazifik. Auch seinen alten Freunden, den Vögeln, widmet sich Will ausgiebig. Bei der Arbeit scheut das Team keine Anstrengung. Der Natur zu trotzen, erfüllt Will mit Stolz, selbst wenn er dabei Blessuren davonträgt. Will stellt fest, welch verheerenden Einfluss die Zivilisation auf die Natur ausüben kann. Das erschreckendste Lehrstück menschlichen Fehlverhaltens liefert die Insel Guadeloupe. Nur dreißig Jahre vor der >Zaca< entdeckte der Botaniker Palmer hier ein Paradies für Vögel und Pflanzen.32 Jetzt findet das Team alles öde und vertrocknet. Drei Jahrzehnte hatten den von anlegenden Schiffen entlaufenen Katzen, Mäuse und Ratten gereicht, um sämtliche Vögel und Kleinsäugetiere auszurotten; ausgesetzte Ziegen hatten die Pflanzen vertilgt. Auch die einst so zahlreichen „Elefanten des Meeres“ sind so dezimiert, dass Will sich beschämt fühlt „als Angehöriger der Menschenrasse“.33 Bücher anderer Autoren bespricht Beebe auch durchaus einmal kritisch, u.a. die amerikanische Ausgabe von „Wir kommen aus dem Meer“ von Hans Hass.34 Wills Bücher hatten den jungen Hass zum Bau eines Taucherhelms angeregt. Auf seiner Heimreise aus der Karibik besucht Hass 1940 Beebe in New York. Einzelne junge Autoren inspiriert und fördert Will, wie z.B. Rachel Carson, die mit ihrem Buch „Der stumme Frühling“ die Umweltdebatte in den USA anstößt. Ihre „Geheimnisse des Meeres“ stehen noch heute in so mancher Taucherbibliothek.35 Bild09: Selbst für den Dokufilm zu Rachel Carsons Buch scheint reißerische Werbung unverzichtbar. Neben dem Monsterhai bleibt für die Bathysphäre kaum noch Platz. Wo viel Licht ist, ist auch viel Schatten Nein, ein unkomplizierter Mensch ist William Beebe wohl nicht gewesen. Durch seine verbindliche Art kann er die Zuhörer bei Lesungen, Vorträgen, Pressekonferenzen oder auf Partys rasch in seinen Bann ziehen. Treten Spannungen auf, bemüht er sich um Ausgleich. Wenn im Forschungsteam Missstimmung aufkommt, kann es durchaus passieren, dass Will ankündigt, in ein paar Tagen seinen Geburtstag groß feiern zu wollen. Schon allein die Vorbereitungen für das Fest sind eine willkommene Abwechslung und lösen die gereizte Stimmung. Weist ihn ein Vertrauter leise darauf hin, dass er jetzt doch gar nicht Geburtstag habe, erwidert er schmunzelnd, er wolle seinen Geburtstag nicht dann feiern, wenn ihn der Kalender vorschreibe, sondern wenn er ihn brauche.36 Will stellt hohe Ansprüche an sich und an andere, er erwartet, dass die Flamme der Begeisterung für die Natur in seinen Mitarbeitern ebenso lodert wie in ihm selbst. Alles, was er betreibt, tut er mit voller Kraft. Die Erkenntnis, wie wenig Arbeit er vollbringen kann im Vergleich zu der Menge an Arbeit, die zu tun möglich wäre, betrachtet er als größte Tragödie in seinem Leben.37 Er hasst Mittelmäßigkeit, Müßiggang sowie Unaufrichtigkeit und verachtet Menschen, die im Geldverdienen ihr bevorzugtes Lebensziel sehen. Langeweile hält er für unmoralisch. Trifft er auf eines dieser Übel, bricht seine schroffe, unduldsame Seite hervor. Als sich ein junger Wissenschaftler bei ihm bewirbt mit der Begründung, er langweile sich und brauche Abwechslung, weist Will ihn barsch ab; er wolle keinesfalls gelangweilte Menschen um sich haben.38 Es verwundert nicht, dass er in seinem an Abenteuern so reichen Leben nicht nur Bewunderung und Zustimmung erfährt, gerade von Seiten der Wissenschaft. Bild 10: Obwohl von frühmorgens bis in den späten Abend angestrengt tätig, verbringt Will anschließend noch halbe Nächte im Labor, um die Tagesausbeute zu bestimmen und zu beschreiben. Bild: Deutsche Illustrierte v. 5.7.1938. Dieses Foto stellte dankenswerterweise Dieter Harfst zur Verfügung. Denn was sollen „seriöse“ Stubengelehrte halten von einem Vogelkundler ohne jeden akademischen Abschluss, der sich in den entlegensten Winkeln der Erde herumtreibt, um mit Flinte und Netz die Gefiederten zu jagen? Dem dann plötzlich einfällt, nun den Geschuppten in ihrem eigenen Lebensraum nachzustellen. Der sich untersteht, über seine Forschungen und die dabei angewandten Methoden nicht nur in trockenen Worten wissenschaftliche Beiträge für altehrwürdige Fachblätter zu verfassen, sondern der über seine Pläne, Fahrten und bestandenen Abenteuer in Zeitungen und Magazinen unterhaltsam berichtet, und dessen überaus erfolgreiche Bücher ein Riesenpublikum erreichen. Der seinen Lesern ernsthaft empfiehlt, einen Taucherhelm notfalls zu stehlen, um die Wunder der Meere auch ja kennenzulernen. Über den die Presse schreibt, seine Frau habe sich scheiden lassen, weil er zu ihr gleichgültig und grausam gewesen sei und der mit einem Revolver im Mund gedroht habe, sich zu erschießen, nur um sie zu erschrecken.39 Ein Mann, der auf dem Tennisplatz einen ebenso guten Part spielt wie auf den Tanzflächen der Jazzclubs. Der gern Kostümfeste besucht und selbst veranstaltet und sich nicht scheut, dabei auch mal in Frauenkleider zu schlüpfen und dafür sogar sein Bärtchen abrasiert. Ein Partylöwe, der, statt brav Schuppen oder Federn zu zählen, sich häufig und gern zu Cocktailparties der feinen Gesellschaft und zum Tee einladen lässt, um finanzkräftige Sponsoren bei Laune zu halten. Nein, einen solchen „Paradiesvogel“ kann die strenge Wissenschaft auf keinen Fall ernst nehmen! Zudem haftet diesem Abenteurer zu Recht der Ruf eines „Womanizers“ an, begleiten ihn auf seinen Expeditionen doch meist attraktive junge Frauen. Zumindest sein Verhältnis mit Gloria Hollister kann Gould anhand Wills Aufzeichnungen nachweisen. Beim gemeinsamen Erkunden von Nonsuch suchen die beiden Schutz vor Regenschauern in den zahlreichen Höhlen, und da passiert es. Ins Tagebuch notiert Will in seiner persönlichen Geheimschrift: „Ich küsste sie [nicht: Gloria, wie Gould irrtümlich schreibt] und sie liebt mich.“40 Über ein Jahrzehnt bleibt ihre Beziehung geheim. Ob Elswyth Bescheid weiß, lässt sie nie erkennen. Sie führe eine moderne Ehe mit Will und es gefalle ihr, wenn er für Frauen attraktiv sei. Ohnehin sind die beiden häufig für längere Zeit getrennt und wirken intellektuell enger verbunden als körperlich. Ab 1932 scheint die Leidenschaft zwischen Gloria und Will abzukühlen, wenn sie auch weiterhin harmonisch zusammenarbeiten. Gould zufolge findet Will jetzt mehr Gefallen an der adretten Jocelyn, „die ihn verehrte und begierig war, ihm zu gefallen.“41 Elswyth weilt wieder einmal in London. Sie gerät erst viel später in Rage, als Will ihr nach seinem Tod nur eine Hälfte seines Besitzes vermacht; die andere erhält Jocelyn.42 Denn diese arbeitet mit ihm zusammen auch noch in seinen letzten Jahren und kümmert sich um ihn, als er krank wird. Will hat die neuen Fischarten, die er von der Bathysphäre aus beobachtete, so exakt wie möglich beschrieben, hat ihnen Namen gegeben. Natürlich kennt er die rigorosen Regeln der Taxonomie. Doch unter den außergewöhnlichen Umständen und im Vertrauen auf seinen Ruf glaubt er, hier von diesen strengen Grundsätzen abweichen zu können. Zu Unrecht, wie sich zeigt. Wer da meint, er wisse schon alles über Neid und boshafte Eifersüchtelei zwischen Wissenschaftlern und über fein dosierte Demütigung eines Fachkollegen, der lese, wie damals einige anerkannte „Größen“ der Wissenschaft Beebes Bücher und Unternehmen besprochen haben. Beispielsweise wie ihn der berühmte Ornithologe Frank M. Chapman in seiner Autobiografie behandelt. Freilich, er erwähnt Beebe, aber nur beiläufig und vor allem, ohne ihn namentlich zu nennen. Er schreibt nur von „einem schmächtigen Burschen in Kniehosen“, dem er empfohlen habe, ausgiebig naturwissenschaftliche Bücher zu lesen. Chapmans Rat folgend, sei dieser Bursche „zu einem prominenten Ornithologen und schließlich durch seine Gabe der lebendigen Darstellung zu einem hervorragenden ‚popularizer‘ der Zoologie“ geworden.43 Nun ist der Begriff „popularizer“ durchaus doppeldeutig. Positiv ausgelegt, hat Beebe die Zoologie populär gemacht, also weithin bekannt und beliebt. Popularisieren kann aber auch bedeuten, dass Beebe die Wissenschaft übermäßig vereinfacht und dichterisch aufmöbelt, dass er seine Abenteuer zwar unterhaltsam und erfolgreich berichtet, damit jedoch keine Wissenschaft mehr betreibt. Die meisten Fachkollegen werden wohl die zweite Deutung herausgelesen haben. Anderen abenteuernden Meeresforschern wie zum Beispiel Hans Hass sollte es später ebenso ergehen. Als Beebe im November 1932 einen Bericht über den jüngsten Rekordabstieg bei der National Academy of Sciences einreicht44, werden seine physikalischen Daten über Licht, Temperatur usw. interessiert aufgenommen. Seine Beobachtungen der Lebewesen in der Tiefsee hingegen stoßen auf höflichen Zweifel bis hin zu süffisanten Verrissen. Der Fischkundler Hubbs lobt zwar den „Zauberstift“, mit dem Beebe schreibe, aber was Beebe „schwach oder matt“ im Licht des Scheinwerfers gesehen haben will, stellt Hubbs einfach in Frage.45 Denn das Quarzglas sei durch Beebes Atem beschlagen gewesen. Dabei schreckt Hubbs nicht davor zurück, Beebe falsch zu zitieren und sich aufs National Geographic Magazine zu beziehen, statt auf das Buch „Half Mile Down“ oder die Beiträge im „Bulletin of the New York Zoological Society“46. Der Ichthyologe Nichols unterstellt Beebe eine eher dramatische Art als eine peinlich genaue, wenn dieser niederschreibe, welches „Bild auf seiner Netzhaut“ er soeben wahrgenommen habe.47 Auch die nach Wills Angaben von Else Bostelmann gemalten Bilder werden harsch kritisiert; unnachsichtige Kollegen bezeichnen sie als amateurhaft, romantisch und fantastisch. Dabei ist sich Will durchaus bewusst, wie lückenhaft seine Beobachtungen und wie mangelhaft seine Schilderungen bleiben müssen. Angemessen darzustellen, was in der Tiefe lebt, entspricht seiner Meinung präzise der Frage an einen Fremden, der ein paar Stunden in New York verbracht hat: „Was halten Sie von Amerika?“48 Aber das können eben nur die Hand voll Menschen wissen, die in der Bathysphäre hinab getaucht sind. Nach Welker steckt hinter den Angriffen von Kollegen nicht nur die „professionelle“ Sorge, dass sich mit Beebe ein „flunkernder Eindringling und Pfuscher“ in die Ichthyologie einmische. Für Welker beweisen sie vielmehr, dass führende Köpfe dieser Wissenschaft die Erfahrungen und Ergebnisse mit der Bathysphäre schlicht nicht ernst nehmen.49 Kurz gesagt: Etliche Kollegen mögen Beebe nicht, weil er ihnen zu wenig akademisch ist, und seine Resultate lehnen sie ab, weil ihnen die dabei angewandten Methoden zu abenteuerlich erscheinen. Vermutlich selbst nie mutig genug, in einer engen Stahlkugel eine halbe Meile tief in den Ozean hinab zu tauchen, können sie einfach nicht begreifen, dass nicht allein Ruhmsucht diesen Forscher in die Öffentlichkeit drängt, sondern harte wirtschaftliche Notwendigkeit. Denn jeder gehaltene Vortrag, jedes veröffentlichte Buch, ja sogar jede Erwähnung in der Presse trägt dazu bei, Wills Arbeit voranzutreiben. Und die hat für ihn Vorrang, obwohl er gegen Kritik nicht unempfindlich ist. Sein Verhältnis zu den Fachkollegen schätzt Will durchaus realistisch ein. Er bezeichnet sich selbst als einen Naturforscher, den die Wissenschaftler gerade noch dulden.50 Seine Popularität trägt ihm auch allerhand bizarre Anfragen ein. So bittet ihn zum Beispiel ein Bewunderer um den Gefallen, einen dem DTR zugesandten Umschlag mit in die Tiefe zu nehmen und dort zu signieren mit Datum, Uhrzeit, Tiefenangabe usw. Danach möge er diesen Umschlag an den Absender zurückschicken. Beebe lehnt höflich aber entschieden ab. Es wäre unverantwortlich, seine Aufmerksamkeit in der Tiefe darauf zu richten statt auf das Unternehmen selbst. Der Bittsteller hat noch hinzugefügt, er hätte gern etwas zur Finanzierung der Expedition beigetragen, könne das aber leider nicht. Wie würde Will wohl antworten, wenn dem Ersuchen ein dicker Scheck beiläge? Beebe und Barton bilden ein schlagendes Beispiel dafür, dass sehr unterschiedliche Charaktere erfolgreich nur zusammenarbeiten können, solange sie ein gemeinsames Ziel verfolgen. Ihr erfolgreicher Rekordabstieg hat dann doch mehr gekostet als veranschlagt. Als Will deshalb die NGS um Unterstützung bittet, lehnt diese ab mit dem Hinweis, er möge sich doch an Barton wenden. Darauf antwortet Beebe, er wünsche nicht, Barton in irgendeiner Weise verpflichtet zu sein.51 Bild 11: Ein vielsagendes Bild: Die Bathysphäre verbindet die beiden Männer und steht zugleich zwischen ihnen. Während Otis seinen Arm auf sie legt als wolle er ausdrücken „Sie ist mein“, wendet Will sich ab. Wie so oft lässt der Originalbildtext den Namen des eigentlichen Schöpfers der Tauchkammer unerwähnt: „Dr. William Beebe und ein Assistent neben der 2 t Stahlkugel…“ Aus: Modern Mechanix, wie Bild 1 Obwohl die beiden Kontrahenten in Presseberichten weiterhin gemeinsam erscheinen, dringt ihr Zerwürfnis allmählich an die Öffentlichkeit. Denn Otis beklagt sich weiterhin bei den Redaktionen, weil er sich in deren Berichte nicht ausreichend gewürdigt fühlt. Das wiederum nervt Will ungemein, denn seiner Meinung nach strotzen Bartons Briefe nur so von Übertreibungen und Irrtümern, was wiederum Wasser auf die Mühlen von Beebes Kritikern ist. So schreibt Will nach dem Abstieg auf 923 m an den Berichterstatter des NGM: „Barton ist, wie wir nun alle erkennen, kein Schurke, sondern ein gefährlicher Narr. Durch die Gnade der Vorsehung haben wir eben einen seiner Briefe an die [New York] Times unschädlich gemacht, in dem er sämtliche Fische falsch benannt hat … was einen furchtbaren Schlamassel verursacht hätte.“52 Denn so etwas wäre für die ohnehin überkritischen Ichthyologen ein gefundenes Fressen. Otis gibt die Versuche auf, sein Image zu verbessern und wirft sich voll auf sein Lieblingsprojekt UW-Film. Schon in den ausgedehnten Pausen zwischen den Expeditionen mit der Bathysphäre streift er mit Taucherhelm oder kompletter Helmtaucher-Ausrüstung über den Meeresgrund. Nun will er diesen Expeditionsfilm fertig produzieren, der neben den Kreaturen der Tiefsee auch die Bewohner der Korallenriffe zeigen soll. Dazu filmt er in Panama und engagiert extra eine ausgezeichnete Schwimmerin als UW-Model. Eines der besten Fotos soll die Begegnung zwischen Model und einem Manta zeigen. Das wäre lang vor Lottes „Abenteuer im Roten Meer“.53 Es entsteht: “Titanen der Tiefe“. Der Filmverleih treibt reißerische Werbung: „Schöne Nixen im realistischen Kampf mit mörderischen Seeungeheuern! Schrecken der Meerestiefen! Haarsträubende Abenteuer mit dem großen Unbekannten!“ Otis ist sehr enttäuscht, denn die Werbung sagt kein Wort über die Schönheit und die Wunder der Unterwasserwelt.54 Der Film zeigt auch kurze Ausschnitte, wie die Bathysphäre ins Meer gesenkt wird. Das ermutigt den Verleih, dreist nicht nur den Namen von Beebe, sondern auch die seiner drei Assistenten John Tee-Van, Gloria Hollister und Jocelyn Crane auf die Plakate zu drucken. Will schaut sich den Film an und schreibt noch in derselben Nacht an mehrere Redaktionen um klarzustellen, dass weder er noch ein Mitglied seines Stabes oder die NYZS irgendetwas mit diesem Film zu tun haben. So fortschrittlich Beebe als Forscher auch ist, bleibt er doch auch ein Kind seiner Zeit. „Unter der Herausforderung extremer Gefahr für mich oder die Meinen, habe ich ein Menschenleben stets weniger geachtet als nichts. Aber einen Wilden niederzuschießen, der auf dich einstürmt, ist eine Sache. Mit Bedacht einen Fisch aufzuspießen, den du beobachtet hast und der völlig furchtlos nah vor deinem Gesicht und deinen Händen schwimmt, ist eine ganz andere. “ Das Recht auf Selbstverteidigung würde Will heute sicher anders formulieren. Im Fernen Osten wundert er sich darüber, wie widerspruchslos die Einheimischen die „Überlegenheit der Weißen“ hinnehmen. Er muss sich erst daran gewöhnen, die Dienstboten streng zu behandeln und notfalls mit Gegenständen zu bewerfen, weil sie einen sonst für einen schwächlichen Narren halten.57 Solche Vorurteile hindern ihn jedoch nicht, scharfe Kritik zu üben am Verhalten der Staaten und Völker, die sich selbst zivilisiert nennen: „Im Krieg tun die Menschen alles, was in ihren Kräften steht, um einander zu verstümmeln oder zu töten. Werden jedoch verwundete Feinde gefangen, dann […] heilt [man] sie nach Möglichkeit, tauscht sie gegen andere geheilte Gefangene aus und beschießt sie dann von neuem. […] Wahrscheinlich gibt es Flieger, die zögern würden, einer Frau oder einem Baby den Säbel durch den Leib zu rennen, die aber ohne weiteres Bomben auf sie werfen werden, wenn sie als ‚Zivilbevölkerung‘ getarnt sind.“ Als wäre es heute geschrieben! Gern beobachtet Will nachts den Sternenhimmel mit einem Teleskop. Tief beeindruckt, ja ergriffen vom unendlichen Universum, ist er sicher, dass bei diesem Anblick jedem die Bedeutungslosigkeit der winzigen Menschlein bewusst werden muss. Überschwänglich glaubt er, wenn jedes Gefängnis und jede Kirche auf dem Dach ein Observatorium hätten, gäbe es in den Gefängnissen weit weniger und in den Kirchen deutlich mehr Menschen.59 Der Kreis schließt sich Wills Leben weist einige Brüche auf wie z.B. das Verlassen der Uni ohne Abschluss oder die Scheidung. Dazu gehört auch, dass er nach dem Rekordabstieg nie mehr versucht, in große Tiefen zu tauchen oder mit Otis zusammenzutreffen. Doch seine Vita ist auch von Kontinuität geprägt: Seine lebenslange Freude an der Natur und deren Erforschung ebenso wie sein bis ins hohe Alter anhaltender Arbeitseifer. Aber auch allmählicher Wandel zeichnet ihn aus: vom Ornithologen wird er zum Ökologen, Ichthyologen und Ozeanographen und kehrt dann in den Dschungel zurück. Barton, den privatisierenden Ingenieur, lässt die Tiefsee nicht so bald los. Seine Pläne für eine stärkere Kugel lassen sich zunächst nicht verwirklichen, weil die Firmen mit Kriegsaufträgen überlastet sind. Deshalb experimentiert Otis mit einem von der Oberfläche unabhängigen Tauchanzug für die Marine. Nach dem Krieg wäre die NYZS bereit, ihm die Bathysphäre für weitere Abstiege zu überlassen. Weil aber die Navy die Kugel im Krieg zu Tests benutzt hat, um die Auswirkungen von UW-Explosionen zu untersuchen, nimmt Otis dieses Angebot nicht wahr. Er geht wieder auf Reisen, filmt und fischt vor Hawai, Mexiko und Peru. In Holländisch Neu Guinea faszinieren ihn die Riesenschmetterlinge in den Wipfeln des Regenwaldes. 1947 fährt er für acht Monate ans Große Barriere-Riff, taucht und verschießt tausende Meter Film. Dabei untersucht er nach eigenen Angaben auch die Riesenmuscheln näher, fünf Jahre vor Hans Hass.60 Er lässt – gefördert von der Allan-Hancock-Foundation – ein neues Tieftauchgerät bauen, das aber dem Prinzip der angehängten Kugel treu bleibt und nennt es Benthoscope. Dessen Innenraum hat wieder etwa eineinhalb Meter Durchmesser und die 5-cm-dicke Wand aus Chrom-Nickel-Stahl soll eine Tauchtiefe von einer Meile erlauben. Anders als die Bathysphäre hat die Neukonstruktion zwei außenliegende Scheinwerfer und eines der beiden Fenster führt schräg nach unten, um auch dort beobachten zu können. Der Deckel der Einstiegsluke ist gewölbt, was ihn deutlich dünner und damit leichter macht. Ein an die Kugel gebauter Schlitten, der das Ziehen über den Meeresgrund ermöglichen soll, bewährt sich überhaupt nicht und wird wieder abmontiert. Bild 12: Angelehnt an Bartons Benthoscope wird mit Hilfe der Hancock-Stiftung ein kleinerer Bruder entwickelt: der Benthographe. Diese unbemannte, stählerne Hohlkugel (Durchmesser 85 cm, Wanddicke 4 cm) hängt ebenfalls an einem Stahlseil und soll Tiefen bis 5 000 m erreichen (1950 wurden 1350 m Tiefe geschafft). Hinter dem oberen Fenster sitzt die Kamera, durch das untere Fenster strahlt der Elektronenblitz. Am 12.8.1949 lässt Otis das Gerät im Santa Cruz Becken vor Santa Barbara unbemannt auf über 1.800 m ab. Alles im Innern bleibt trocken; nur der Film in der automatischen Kamera zeigt wieder nichts. Dann treten Probleme mit der Elektrik auf. Dennoch gelingt Barton vier Tage später ein neuer Rekord: Zwar ohne Licht, aber sonst wohlbehalten, erreicht er über 1.370 m und lässt damit Beebe hinter sich.61 Neben ihrer Liebe zum Meer teilen die beiden so unterschiedlichen Männer noch eine weitere Passion: den Dschungel. Ähnlich wie Beebe wendet sich Barton nach seinem Tauch-Erfolg dem Regenwald zu. Er konstruiert eine Art Lift, um in den Wipfeln des tropischen Urwaldes Tiere filmen zu können.62 Als zwei Jahre später das Life Magazine Barton 10.000$ bietet für die Exklusivrechte an neuen Tauchversuchen mit dem Benthoscope, unternimmt er im späten September 1952 drei weitere Abstiege, die durch immer neue Probleme erschwert werden. Beim ersten muss aus über 600 m Tiefe ein Notaufstieg durchgeführt werden, weil aus einem Ventil unkontrolliert Sauerstoff strömt. Der zweite Versuch wird in 426 m abgebrochen, weil die Lichter verlöschen. Der 3. Abstieg endet besonders dramatisch. Aus einer Tiefe von 1.053 m hören sie durchs Telefon Barton plötzlich rufen: „Oh, Dr. Nelles, Dr. Nelles!“63 Dann ist die Leitung tot. Blankes Entsetzen! Der sofort eingeleitete Notaufstieg verzögert sich, weil sich das Elektrokabel so um die Trosse verwickelt hat, dass es durchtrennt werden muss. So vergehen 40 Minuten, ehe das Tauchvehikel wieder an Deck steht. Wohl keiner kann noch hoffen, Otis lebend zu bergen. Doch als endlich die Luke geöffnet ist, erscheint Bartons Kopf und – er gähnt. Denn als unerwartet das Licht ausging, rollte er sich in eine Decke und schlief seelenruhig ein. Erst die Hammerschläge beim Öffnen der Luke haben ihn geweckt. Eine solche Reaktion wäre bei Beebe undenkbar; jede Sekunde hätte der durch die Fenster gestarrt, um selbst in der Finsternis jede Kleinigkeit zu registrieren und sich einzuprägen. Otis Barton bleibt nicht lang der „König der Tiefe“. Schon im August 1953 erreicht die französische Marine mit Piccards umgebautem Tauchboot FNRS 3 runde 2.100 m Tiefe.64 Deren Stahlkugel hängt ebenso wie bei der nachfolgenden >Trieste< nicht an einer Stahltrosse, sondern unter einem Schwimmkörper, mit dessen Hilfe die Bathyscaphen frei sinken und aufsteigen können. Bartons Buch über seine Abenteuer im Meer und an Land wird, obwohl er dafür extra einen Co-Autor engagiert, nicht gerade ein Bestseller. So bleibt es dabei: Otis, der gern so wie Will gewesen wäre, kann nie auch nur annähernd dessen Popularität erreichen. Auch sein Ultraleicht-Luftschiff, an dem er bis ins hohe Alter bastelt, um Tiere in den Baumkronen der Urwaldriesen in Afrika filmen zu können, wird in der Öffentlichkeit kaum beachtet. Mit über 80 Jahren heiratet er zum dritten Mal. Er stirbt am 15. April 1992. Wie sein Neffe James betont, habe Otis in seinem späteren Leben William Beebe geradezu „idealisiert“.65 Beebe hingegen, der gefeierte und ebenso kritisierte Wissenschaftler, lässt zwar nicht das Meer insgesamt hinter sich, aber zumindest seine bereichernden Erlebnisse mit der Tauchkugel. Fast scheint es, er habe die Bathysphäre, wenn auch nicht vergessen, so doch verdrängt. Auf frühere Erfahrungen, zum Beispiel während der Fasanenexpeditionen in Asien oder an der Westfront im 1. Weltkrieg, hat Beebe in seinen Büchern wiederholt und ausgiebig zurückgegriffen, sowohl in den vor dem Tiefenrekord erschienenen als auch in den Werken danach. Seine eindrucksvollen Rekordabstiege vor den Bermudas hingegen erwähnt er auffallend selten und nur kurz, wie Welker anmerkt.66 Zwei dieser wenigen Ausnahmen finden sich im „Zaca-Abenteuer“.67 Vor allem die zweite Fahrt auf der >Zaca< gestaltet sich zunehmend schwierig. Templeton Crocker, der Multimillionär, trinkt häufig und viel. Dagegen hilft auch nicht, dass er zum Amateur-Spezialisten für Muscheln ernannt wird. Wie Barton fühlt auch er sich von den Wissenschaftlern ausgegrenzt. Wann immer die >Zaca< auf ein anderes Schiff trifft oder in einem Hafen liegt, ist Will der strahlende Mittelpunkt. Das wiederum steigert Crockers Ausfälle. Zuletzt geht es ihm so schlecht, dass der begleitende Arzt den völligen Zusammenbruch befürchtet. Bild13: Vor allem auf der zweiten Fahrt mit der >Zaca< war das Verhältnis zwischen den Wissenschaftlern und dem Eigner Crocker sehr angespannt. Obwohl das Schiff als Labor perfekt eingerichtet ist, wird das Arbeitsklima unerträglich. Nachdem sich Jocelyn von einem Fieber erholt hat, geht das Team in Panama von Bord und fährt heim. Trotz allem widmet Will das Buch über diese Expedition Templeton Crocker, der „in seiner Stellung als Ehren-Chef im allgemeinen regen Anteil an allen Sparten unserer Arbeit“ nahm.69 Und weiter umschreibt er die Situation: „Das Allerbeste während der ganzen Fahrt war das Bewusstsein, dass wir alle mit dem Bestreben ausgezogen waren, unser Scherflein zum Schatz der Erkenntnis und Wissenschaft beizusteuern. Templeton Crocker war ein sehr weiser Mann, wenigstens einen Teil seines Lebens auf diese Art zu verbringen“,70 wenn er den Rest schon vergeudet, möchte man fast hinzufügen. Will aber wird nie wieder eine Expedition auf einem zur Verfügung gestellten Schiff durchführen. Wer heute bei uns für Forschung und Wissenschaft weniger staatliche Förderung und mehr privates Sponsoring fordert, sollte solch abschreckende Beispiele bedenken. Fragwürdig auch, wenn Männer wie Beebe für Luftgewehre und sogar Barton für Zigaretten werben müssen.71 Nach dem Krieg kehrt Will zu seinen Anfängen zurück und erforscht nicht mehr die Ozeane, sondern durchstreift wieder den Dschungel Venezuelas und errichtet dort Rancho Grande. 1950 gründet er die Forschungsstation Simla auf Trinidad, die ab 1952 Jocelyn Crane weiter leitet. In den letzten Lebensjahren plagt ihn eine schmerzhafte Krankheit; zum Schluss kann er sich kaum noch bewegen. Zu seinen Lebzeiten kann nicht ein Belegexemplar der von ihm gesichteten Tiefseefische gefangen werden. Nur ein solcher Beweis könnte den Vorwurf, er habe die Wissenschaft verfälscht, ein für allemal entkräften. Diese Anschuldigungen verfolgen ihn bis zuletzt. Als er sein Ende kommen spürt, kehrt er nach Trinidad zurück, wo er am 4. Juni 1962 stirbt und seine letzte Ruhe findet. Hillary Hauser meint, Beebe erreichte durch seine häufigen Aufenthalte unter Wasser eine einzigartige Sicht auf das Leben an Land. „Seine Vergleiche [der beiden Welten] gehen manchmal tief genug, um uns dahin zu führen, unsere Gewohnheiten und Werte zu überprüfen – und das beweist, dass Beebes Werke hinausgehen über die Wissenschaft ins Reich von Kunst und Philosophie.“ Aber es wäre unrecht, Wills Lebensleistung nur auf seine Tauchunternehmen zu reduzieren, auch wenn seine Pioniertaten auf wohl keinem anderen Gebiet die weitere Entwicklung so maßgeblich beeinflusst haben wie beim Tauchen. William Beebe war zutiefst überzeugt, jedem müsse es so ergehen wie ihm selbst: „Wer einmal die Wunder eines tropischen Korallenriffs bestaunt hat, den zieht es immer wieder hinab. Sollte davon jemand dennoch unberührt bleiben oder gar enttäuscht sein, dem bleibt auf Erden nur eine längere oder kürzere Zeitspanne, um auf den Tod zu warten. Für den kann das Weiterleben nur noch wenig Wert besitzen.“73 Wir Taucher wissen, wie Recht er damit hat. Weitere Artikel: Norbert Gierschner: Beebe, Barton, und die Piccards - In tiefste Tiefen, TGS 4/2015 S. 15 ff. Norbert Gierschner: Daten und Werke: William Beebe, TGS 5/2015, S.41 ff. Anmerkung: Seinerzeit veröffentlichte das National Geographic Magazine zahlreiche SW-Fotos und farbige Bilder über Beebes Tauchabstiege. Der Verfasser hat deshalb dieses Magazin gebeten, in der TauchHistorie einige dieser Abbildungen gebührenfrei nachdrucken zu dürfen, unter dem ausdrücklichen Hinweis, dass unsere Zeitschrift ein nonprofit-Projekt der Historischen Tauchergesellschaft Deutschland ist. Leider erlaubte das National Geographic Magazine den kostenlosen Nachdruck der fast ein Jahrhundert alten Fotos nicht. 1 Beebe, W.: Nonsuch, Land of Water, New York 1932.. 2 Beebe: FN 1, S.69 3 Barton, Otis: Adventure on land and under the sea, London 1954, S.10 4 „Beebes angeborene Arroganz, seine immense Popularität und seine fehlenden echt akademischen Schriften über Meereskunde bewogen Wheeler, Earle, Bigelow, Mark und andere, ihn auszuschließen.“ In: Matsen, Bred: Descent, The Heroic Discovery of the Abyss, New York 2005, S.15. Übersetzung vom Verfasser 5 Beebe: 923 Meter unter dem Meer, Leipzig 1935, S.123 6 Matsen: FN 4, S.134 7 Matsen: FN 4, S.144 und 257. Gould beschreibt den Vorfall ebenfalls, ordnet ihn aber einem anderen Abstieg zu. Siehe: Gould, Carol G.: The remarkable Life of William Beebe, Explorer and Naturalist. Washington 2004, S.295 8 Barton: FN 3, S.29. Übersetzung vom Verfasser 9 Matsen: FN 4, S.148. Übersetzung vom Verfasser 10 Barton: FN 3, S.30 11 Matsen: FN 4, S.151. Übersetzung vom Verfasser 12 „Beebe Descends Nearly Half-Mile in Ocean; Broadcasts on Weird Ride in Bathysphere“ in: New York Times v. 23. Sep. 1932, S.1 und 3. Übersetzung vom Verfasser 13 Beebe: Auf Entdeckungsfahrt mit Beebe, Leipzig 1936, S.175 14 „Three Hundred Fathoms Beneath the Sea“ in: Popular Mechanics No.10, Oct. 1930, S.577-585 15 Am 23.1.1960 taucht die >Trieste< im Auftrag der US-Navy in der Challenger-Tiefe vor Guam 10 916 m tief. Siehe dazu: Piccard Jacques: 11 000 Meter unter dem Meeresspiegel, Wiesbaden 1961 16 Matsen: FN 4, S.183. Übersetzung vom Verfasser 17 Matsen: FN 4, S.197 18 Beebe sprach etwa 10 Minuten mit Barton unter vier Augen am Bug des Schleppers. Siehe Matsen, FN 4, S.197 und S.261. Übersetzung vom Verfasser 19 Barton: FN 3, S.49 ff. 20 Beebe: FN 5, S.153 21 Matsen: FN 4, S.204 22 Barton: FN 3, S.51 23 „Dr. Beebe descends 2510 feet in ocean“ in: New York Times vom 12.8.1934. Der Untertitel lautet: „Wissenschaftler übertrifft mit Otis Barton alten Bathyspheren-Rekord vor den Bermudas“. Ebenso in der Chicago Sunday Tribune: „Dives 2510 ft. Under Ocean, Beebe Has New Record“. 24 Gould: FN 7, S.323. Übersetzung vom Verfasser. Nach Gould war der Schriftverkehr zwischen Will und Elswyth stets freundlich, humorvoll und zärtlich, auch bei langen Trennungen. 25 Sie sind aufgelistet in: Matsen, FN 4, S.226 26 Beebe: FN 5, S.6. In der englischen Ausgabe („Half Mile Down“, London 1935) steht dieser Abschnitt auf S.230. 27 Cross, W. Redmond: Preface in: Beebe FN 26, London 1935, S.IX (ohne Seitenzahl). Dieses Vorwort fehlt in der deutschen Ausgabe. 28 Nachruf in der New York Times v. 24.2.1988 29 Beebe: Zaca Venture, New York 1938. Deutsche Ausgabe: Das Zaca-Abenteuer, Forscherfahrt in die Fischgründe des Pazifik. Leipzig 1939 30 Gould: FN 7, S.334 31 Beebe: Book of Bays, New York 1942. Deutsche Ausgabe: Wundersame Küstenfahrt, Wiesbaden 1951 32 Gould: FN 7, S.337 33 Beebe: FN 31, Wiesbaden 1951, S.33 34 „We come from the Sea“ in: Science v. 15.1.1960, S.153 35 Carson, Rachel: The Sea Around Us, New York 1950. Deutsche Ausgabe: Geheimnisse des Meeres, München 1952. Von Carsons Büchern über das Meer sind auf Deutsch außerdem erschienen: Unter dem Meerwind, Zürich 1947 sowie: Am Saum der Gezeiten, München 1957. 36 Osborn, Fairfield Jr.: „My most unforgettable Character“ in: Reader’s Digest, July 1968, S.126-131. Auf Deutsch in: Das Beste Nr.10, Okt.1968, S.164-178, hier S.172. Osborn Jr., der Sohn von Henry Fairfield Osborn Sr., war wie sein Vater ein Freund von Will und schrieb hier einen sehr persönlichen Nachruf. Er war ab 1922 wissenschaftlicher Mitarbeiter der NYZS und von 1940-1968 ihr Präsident. 37 Shaw, Charles G.: „A Personal Sketch“ in: Bookman, Feb. 1928, S.635-637. Nachgedruckt in: Berra, Tim M.: William Beebe, An Annotated Bibliography, Hamden 1977, S.133-137, hier S.135 38 Osborn: FN 36, S.170 39 „Naturalist was cruel“ in: New York Times v. 30.8. 1930 40 Gould: FN 7, S.280. Übersetzung und Einfügung vom Verfasser. 41 Gould: FN 7, S.313. Übersetzung vom Verfasser. 42 The official William Beebe Website unter: t1p.de/5g8y Diese ist nicht ohne Fehler, so ist z.B. die Wanddicke der Bathysphäre mit 1,5 ft. angegeben, das wären gut 45 cm! 43 Chapman, Frank M.: Autobiography of a Bird-Lover, New York 1933, S.71. Zitiert nach: Welker, Robert H.: Natural Man, The Life of William Beebe, Bloomington 1975, S.138. Übersetzung vom Verfasser. Die Bezeichnung „Bird-Lover“ hatte Beebe schon im Titel seines ersten Buches verwendet: Two Bird-Lovers in Mexiko, Boston und New York 1905. Als Chapman‘s Autobiografie erschien, hatte Beebe bereits sechs Bücher veröffentlicht, die sich vollständig oder hauptsächlich mit Vogelkunde befassten, darunter sein Monumentalwerk über Fasane. Siehe dazu Berra: FN 37, S.109 44 Beebe: „A Preliminary Account of Deep Sea Dives in the Bathysphere with Esspecial Reference to one of 2.200 Feet“ 45 Hubbs, Carl L.: Review of ‚Half Mile Down‘ in: Copeia v. Juli 1935. Siehe Matsen: FN 4, S.163 46 Hubbs, Carl L.: Reviews and Comments in: Copeia v. 16.7.1935, S.105. Siehe Welker: FN 43, S.139 47 Nichols, John T. in: Natural History, Januar 1935, S.88 f. Vgl.: Welker: FN 43, S.140 48 Beebe: FN 26, London 1935, S.196. Übersetzung vom Verfasser. 49 Welker: FN 43, S.140 50 „Etwa 1000 m unter dem Meeresspiegel“ in: Lies mit, Nr. 16 v. 29.7.1952, S.21 51 Es geht um knapp 3000 $. Siehe Matsen: FN 4, S.228 52 Zitiert nach Matsen: FN 4, S227f. Übersetzung und Einfügung vom Verfasser. 53 Barton: FN 3, S.74. Otis nennt allerdings keinen Nachweis für dieses Foto. 54 Barton, S.87 55 Unter anderem an die New York Times und Science. Siehe Matsen, FN 4, S.229 und 265 56 Beebe: The Arcturus Adventure, New York 1926, S.87f. Übersetzung vom Verfasser. 57 Gould: FN 7, S.161f. 58 Beebe: FN 31, Wiesbaden 1951, S.219. Auslassungen und Einfügung vom Verfasser. 59 Beebe: FN 1, S.165 60 Barton: FN 3, S.130. Hass berichtet später, ihm sei im Januar 1953 in Cooktown von Bartons Tauch- und Filmversuchen erzählt worden. In: Hass, Hans: Wir kommen aus dem Meer, Berlin 1957, S.105 61 „Barton sets Record in Ocean Dive; Descends 4.500 Feet Off California“ in: New York Times v. 17.8.1949 62 Beebe interessiert sich ebenfalls für die Tiere in den Wipfeln des Regenwaldes: „The High World oft he Rain Forest“ in: National Geographic Magazine, Vol CXIII, Nr.6, June 1958, S.838-855 63 Dr. Maurice Nelles war Biologe an der Universität von Southern California und vertrat die Allan-Hancock-Foundation, die an einer Zusammenarbeit mit Barton interessiert war. Siehe Matsen: FN 4, S.234 64 Siehe Houot,G./Willm, P.: 4000 m tief, Wiesbaden 1955. Ebenso: Vaisseau, Cap/Hout, G.: 20 ans de bathyscaphe, Paris 1971. Parallel zum Bathyscaphe wurden in Frankreich auch die Aquarius-Tauchboote entwickelt, siehe Tailliez, Philippe: Aquarius, London 1964 65 Matsen: FN 4, S.253f. 66 Welker: FN 43, S.140. Die deutsche Ausgabe „Auf Entdeckungsfahrt mit Beebe“ , Leipzig 1936, enthält das Kapitel „923 m unter dem Meeresspiegel“, das im bereits 1932 erschienenen Original „Exploring with Beebe“, New York and London 1932, so nicht stehen konnte. 67 Beebe: FN 29, Leipzig 1039, S.59 und S.74. Auch in seiner „Wundersame[n] Küstenfahrt“ (FN 31) erwähnt Will die Bathysphäre zweimal: S.191 und S.204. 68 Gould: FN 7, S.340 69 Beebe: FN 31. S.10 70 Beebe: FN 31, S.208 71 Beebe wirbt im Country Gentleman Magazine (Okt. 1928, S. 150) für Daisy Air Rifles (illustriert u.a. mit einem Mann, der im Taucherhelm unter Wasser mit einem Luftgewehr scheinbar schießt), und Barton lobt den reichen, reifen Geschmack von Camel-Zigaretten (official W. Beebe Web Site). 72 Hauser, Hillary: The Adventurous Aquanaut. San Pedro 1990, S.188. Übersetzung und Einfügung vom Verfasser. 73 Beebe: „A Wonderer Under Sea“ in: National Geographic Magazine, Vol.LXII, No.4, Okt. 1932, S.740-758, hier S.741