TauchHistorie 15 06/2021 Copyright by TauchHistorie 2020 Die unbekannte Herkunft des Iron Man (Teil 2) Von: Yves Clercin , Charles Daigneault Aus dem Französichen von Dr. L. Seveke Im ersten Kapitel in der TH14 haben wir uns die Frage nach dem Leben des Erfinders gestellt. Ist er auf der Straße gestorben, hatte er einen tödlichen Unfall? Ist er in einem der Kriege gefallen, Tunesien 1881, China 1881-1884, Madagaskar 1883-1885? Unbeantwortete Fragen, wir mussten weiter suchen. Wer Erfinder sagt, meint auch Erbauer. Man muss also feststellen, wie viele Anzugtypen der verschiedensten Art den Lauf der Geschichte geprägt haben! Mühsam und spannend, wir sind noch nicht durch. Die Neugier des Menschen wurde (und wird wohl noch) von dem Wunsch getrieben, auf den Grund des Ozeans zu schauen, alle Schätze und Waren jeglicher Art zu bergen und natürlich auch, um das Terrain wissenschaftlich zu durchdringen. Daraus ergibt sich die Notwendigkeit, Maschinen zu erfinden, mit denen man unter Wasser kommen kann, egal in welche Tiefen und unter Einsatz des Lebens. Der Iron Man wurde mit dem Ziel gebaut, den Meeresboden jenseits der 100-Meter-Zone zu erreichen. Es war ein Rennen zwischen England, Frankreich und den USA. Machen wir einen Sprung in die Vergangenheit, ins Jahr 332 v. Chr. Während der Belagerung von Thyr rät Aristoteles Alexander dem Großen, einen wasserdichten Glaskasten anfertigen zu lassen. Diese Tatsache wurde nach dem Tod Alexanders von Makedonien von einem der Historiker jener Zeit, Arrien, Plutarch oder Didore de Cecilia, erzählt und geschrieben. Diese allererste Taucherglocke ging in die Geschichte ein. Der Mensch hätte eine phänomenales Eindringen in die Unterwasserwelt schaffen können, aber all die Kriege, die er im Laufe der Jahrhunderte entfacht hat, haben ihn sein kreatives Genie vergessen oder in eine falsche Richtung lenken lassen. Denken Sie daran, dass die industrielle Revolution einen leichteren Zugang zur Metallurgie brachte und die Kreation und Bearbeitung verschiedensterLegierungen Realität wurde, 1800 - Lichtbogen-Schweißen, 1830 - Nieten von Stahl,... Zu der Zeit, für die wir uns interessieren, gab es schon diverse Montagetechniken, Nieten, Bolzen, Schrauben, autogenes Schweißen, elektrisches Lichtbogenschweißen, ... 1850 - Domingo, bekannt als Hercules, macht Rot-Kupferschweißungen. 1879 - M. Lafitte, ein Schmied in Paris, arbeitet mit Platten, die einfach zwischen die zu verschweißenden Flächen gelegt werden. 1888/1890 - Nikolay Gavrilovich Slavynov und der Amerikaner Charles L. Coffin schweißen mit abschmelzenden Metallelektroden. 1900 entwickelte A.P. Strohmerger in England eine Metallelektrode mit einer Umhüllung, die ein sofortiges Beizen der geschweißten Oberflächen ermöglichte, was zu einer widerstandsfähigeren und porenfreien Schweißnaht führte. 1893 - alumino-thermisches Schweißen. 1905 - dreiphasiges elektrisches Schweißen. Da der bekannte Carmagnolle-Tauchanzug und der aus Marseille aus der gleichen Stadt stammen, war es notwendig, in den Archiven des "Indicateur Marseillais" zu suchen, einem Führer für Verwaltung und Handel, der aus Archiven von 1852 bis 1914 digitalisiert wurde. Und was dort zu finden ist; waren die Namen von Tauchern, ihr Wohnsitz, Unterwasserarbeitsfirmen, die Namen der Erbauer von Tauchanzügen oder Tauchgeräten und die vorhandenen Schmieden von 1852 bis 1890. Durch die Vermittlung eines anderen Tauchers, Vincent Roc Roussey, erfuhren wir, dass das Metall des Marseille-Tauchanzuges sehr dick aussieht und dass er aus einer Kupferlegierung besteht. Unser Koautor Charles Daigneault, ein Modellingenieur, erwähnt, dass der Marseille-Anzug verblüffende Details enthält. Die Ellbogen-, Knie- und Knöchelgelenke sind nicht „gefaltet“ wie beim Carmagnolle, sondern sie ähneln den Kugelgelenken, die in den 1930er Jahren traditionell angewendet wurden, wie bei den Panzeranzügen von Galeazzi und Neufeldt & Kuhnke. Das Gelenksystem des Marseille-Anzugs könnte als Vorfahre des O-Rings qualifiziert werden. Noch interessanter ist, dass die Schultergelenke rotierend zu sein scheinen, eine Technologie, die heutzutage bei den A.D.S. (Atmospheric Diving Suit, auch 1-bar-Anzug genannt) des Typs Iron Man verwendet wird, dieser Anzug wäre also zusätzlich ein Fortschritt gegenüber seiner Zeit. Die konzentrischen umlaufenden Gelenke könnten die Arbeit eines direkten Konkurrenten des letzteren sein. Die wahrscheinlichste aktuelle Hypothese scheint aber zu sein, dass der sogenannte eiserne Mann aus Marseille, der dem Carmagnolle-Anzug ähnelt, trotz der offensichtlichen Unterschiede baugleich ist. Ich habe den Eindruck, dass der Marseille-Anzug eher zur Bestätigung eines Konzepts (bewegliche Gelenke) gemacht wurde, als ein funktionales Werkzeug für die Taucherei zu sein. Irgendwie ein erster Schritt, denn der Helm, wie er gebaut wurde, ist nicht wirklich praktikabel. Da der Taucher nicht direkt nach unten sehen kann, ist der Aktionsradius der Arme nicht einsehbar. Der Erfinder hat wohl mit den Gelenken gerechnet, damit sich der Taucher nach vorn "lehnen" kann, aber was nützt ein Tauchanzug, dessen Fenster nur einen direkten Blick nach vorne bietet? Und einen sehr begrenzten noch dazu? Vielleicht war er ursprünglich dazu gedacht, die Druckfestigkeit zu testen und einen Tiefenrekord zu versuchen, was erklären könnte, dass das Bullauge so klein war und die vorgesehenen Klemmen oder Manipulatoren wahrscheinlich nie installiert wurden, es scheint, dass die Geschichte zeigt, dass es kein verbessertes Modell oder nachfolgende Modifikationen gab, das Projekt starb wahrscheinlich aus einem noch zu findenden Grund und das Ganze geriet in Vergessenheit. In der Geschichte der Entwicklung von A.D.S. sollte nicht vergessen werden, dass sie auch den Zweck hatten, durch die Widerstandsfähigkeit gegen Druck die Tauchzeit zu verlängern und die eingegangenen Risiken zu verringern, wodurch der Einsatz solcher Anzüge profitabler wurde. Wasserdichte Verbindungen waren schon immer problematisch, ich kann mir vorstellen, dass im Fall des Marseille-Anzugs die Kosten für die Herstellung der Bullaugen, die ziemlich hoch gewesen sein müssen, eine Rolle spielten. Dies wäre die Erklärung der Tatsache, dass nur ein Bullauge installiert ist. Und sie könnten sparsamerweise wieder ausgebaut worden sein, was ihr Fehlen erklären würde. Bassin de la Joliette 1880 Alle Häfen Frankreichs erfuhren in dieser Zeit Verbesserungen mit den dazu nötigen Baumaßnahmen. In Marseille gab es um 1880 Arbeiten zur Fertigstellung des Bassin de la Gare Maritime und des Bassin National. Aus rein historischen Gründen wurde das Museum des alten Marseille, in dem unser Taucheranzug abgestellt wurde, 1912 im Parc Chanot eingerichtet und dann in eine der Hallen verlegt, die für die Kolonialausstellung von 1922 im selben Park gebaut worden waren. Der Panzer wurde dann 1967 in das im 16. Jahrhundert erbaute Maison Diamanté verlegt, das 1898 am Quai de Rive-Neuve eingerichtet wurde. Dieses erste Museum hatte nur einen alten Raum, eine Küche mit Möbeln und Utensilien. Die Archive des Musée du Vieux Marseille könnten das Jahr der Ankunft des Taucheranzugs verraten. Marcel Coudurié war Direktor des Museums und Chefarchivar der Handelskammer. Warum hat er alle Informationen über die Ankunft des Taucheranzugs verschwiegen und vor allem gesagt, dass er in einer Werkstatt gefunden wurde? Die Geschichte des Marseille-Tauchanzugs wäre nicht vollständig ohne die Erwähnung von Karl Adrien, Enkel von Carmagnolle Baptistin. Er war ein Journalist, begabt im Zeichnen, der seinem Großvater zur Ehre gereicht hätte. In einem Text, den er 1891 unter dem Titel „Metalltauchanzüge“ schrieb, sagt er: Die Tiefen des Ozeans bergen solche Reichtümer, dass die menschliche Gier sich nicht dazu durchringen konnte, sie in Ruhe zu lassen, und sobald ein Schritt in diese Unterwasser-Regionen getan war, fehlte es nicht an Ehrgeiz, weiter zu gehen. Viele Erfinder von Tiefsee-Tauchanzügen suchten in den bekannten chemischen Prozessen das Mittel, um dem Taucher atembare Gase zur Verfügung zu stellen, die er zwar mitnehmen konnte, die ihn aber nicht über die 40-Meter-Grenze hinausgehen ließen. Die Kleidung der Taucher war mit geschmiedeten oder geflochtenen Reifen versehen, die die Kleidung vom Körper des Tauchers fernhielten und, kurz gesagt, einen gewissen Schutz gegen den Wasserdruck boten, bis er zu stark wurde und die Reifen zerdrückte. Es wurde ein regelrechter Wettlauf in die Tiefe unternommen, Glocken, Röhren, Metallkugeln in allen Formen und Größen tauchten nacheinander auf. Der Forscher Jobard aus Brüssel, die Unterwasserröhre von Toselli, die U-Boote des Admiral Payerne, das U-Boot von Dupuy de Lôme, das U-Boot „Ictineo“ von Narciso Monturiol, der Taucher von Admiral Bourgeois, die Panzertauchanzüge aus London, De Saint-Simon aus Marseille. Nicht alle von ihnen lieferten zufriedenstellende Ergebnisse. Wir sehen hier und da an den Ufern des Mittelmeers oder des Ozeans eine Art von metallischen Leichen, die dort verrosten, die aber in einer bestimmten Zeit Maschinen waren, die ihren Erbauern ermöglichen sollten, das Reich der Gewässer zu betreten. Recherchen über die Stadt Marseille ergaben drei Erfinder für den gleichen Zeitraum 1870-1889. Der bekannteste ist Ferdinand Sibille. Die Bilder zu den beiden folgenden Patenten von Sibille finden Sie unter t1p.de/e2hm in größerer Darstellung. Der wahrscheinlichste Kandidat als Erbauer des unbenannten Taucheranzugs meldete 1881 ein erstes Patent (fr146339) für einen metallischen Taucheranzug an, den er mit Leder und Gummi für die Wasserdichtigkeit überzog, und ein zweites Patent für einen Bronzepanzer, Pat. fr182681 vom 7. April 1887, in dem er sagte, dass man, um diesen Taucheranzug sinken zu lassen, Gewicht hinzufügen kann und wenn man ihn in einer bestimmten Tiefe halten will, kann man ihn mit Schwimmern umgürten. Auch die Installation eines Telefons im Inneren der Panzerung war vorgesehen. Sibille hatte zwar mechanische Kenntnisse, aber keine Erfahrungen zum Tauchen. Er stammt aus Marseille und - Überraschung - er war Bäcker. Er diskutierte wohl des öfteren mit Carmagnolle, wenn dieser Backwaren bei ihm kaufte. Wir denken, dass der Marseille-Tauchanzug ein Prototyp für das zweite Patent von Sibille sein könnte, weil er während seiner Konstruktion Verbesserungen erfuhr, um weniger schwer zu sein, die man noch erkennen kann. Einen kleinen Ausschnitt aus dem zweiten Patent wollen wir etwas näher betrachten, auch, um die Schönheit der alten Dokumente zu zeigen. Article premier Il est délivré au Monsieur Sibille (Ferdinand), Grande Route d’Aix 305 à Marseille (Bouches du Rhône) sans examen préalable, à ses risques et périls, et sans garantie, soit de la réalité, de la nouveauté ou du mérite de l’invention, soit de la fidélité ou de l’exactitude de la description, un brevet d’invention de quinze années, qui ont commencé à courir le 7 avril 1887, pour un scaphandre à enveloppe métallique et à joints étanches permettant de descendre à des grandes profondeurs dans l’eau. Artikel 1 Es wird ein Erfindungspatent ausgestellt auf Monsieur Sibille (Ferdinand), Grande Route d'Aix 305 in Marseille (Bouches du Rhône), ohne vorherige Prüfung, auf eigenes Risiko und Gefahr und ohne jegliche Garantie, weder für die Realisierbarkeit, die Neuheit oder den Anteil an der Erfindung, noch für die Richtigkeit oder Genauigkeit der Beschreibung, das eine Laufzeit von fünfzehn Jahren hat, die am 7. April 1887 begann, für einen Tauchanzug mit einem Metallgehäuse und wasserdichten Verbindungen, die ein Abtauchen in große Wassertiefen ermöglichen. Sibille musste die Fertigstellung seines Anzugs mangels finanzieller Mittel aufgeben und überließ ihn dann der Feuchtigkeit des Erdbodens in einer Werkstatt in Hafennähe. Einer der beiden weiteren Erfinder war André Colleret-Rosensteel, der zum Märtyrer der Wissenschaft wurde. Er erfand zusammen mit vier seiner Freunde, die alle aus nichtstudierten Berufen kamen, Chemiker, Schmied, Bootskapitän, Elektriker, einen Taucheranzug, einen geschlossenen Tauchhelm, dessen Atemgemisch aus einem chemischen Produkt bestand, das während des Tauchgangs gemischt und vom Taucher manuell geschüttelt werden musste. Sie gründeten die Industrial Improvement Group, es wurden mehrere Tauchversuche auf 5 Metern und dann auf 18 Metern durchgeführt. Colleret beschloss, seinen Tauchanzug in fünfzig Metern Tiefe zu testen, um ihn vermarkten zu können. Sobald er untergetaucht war, reagierte er nicht auf die Kommunikation mit dem Seil. Als er den Grund erreichte, wurde er mit einem Notaufstieg wieder an die Oberfläche gebracht. Der Helm voller Blut kündigte eine Blutung an, die Wiederbelebung brachte kein Ergebnis, Colleret starb am 2. Juli 1892 im Alter von 30 Jahren mit dem Produkt seiner Erfindung, die er 15 Jahre lang entwickelt hatte. Es dauerte zwei Jahre der Recherche, um alles über den Marseille-Tauchanzug herauszufinden. Trotz intensiver Suche in allen Nachrichtenseiten der damaligen Zeitungen wurde keine Erwähnung des mysteriösen Taucheranzugs gefunden. Das Datum der Aufnahme des Taucheranzugs in das Museum von Alt-Marseille wurde nicht gefunden. Was wir über diesen Tauchapparat wissen, ist, dass er aus der Industriellen Revolution stammt, er wurde mit allen Erfindungen seiner Zeit gebaut, wobei jede Firma zu dieser Zeit ihre eigenen Teile und Maße verwendete. Seien wir nicht enttäuscht, dass der Erfinder nicht identifiziert wurde, der Ursprung des Anzugs kann trotzdem nicht mehr als vollkommen unbekannt gelten. Was wäre, wenn wir ein wesentliches Archiv ausgelassen hätten oder nicht in die Tiefe gegangen wären! Fangen wir noch einmal von vorne an. Hier sind wir wieder in der Vergangenheit der 1880er Jahre, denn die Lösung muss vor unseren Augen liegen, so groß, dass sie uns blendet. Wir durchkämmen die Gießer, die in Marseille Anzüge bauen, die Erfinder, die für diese Erfindung in Frage kommen. Wir waren uns sicher, dass der Erfinder mit Carmagnolle auf Tuchfühlung ging, zumindest mit der Familie, und dass diese beiden Männer ausführlich darüber gesprochen haben müssen, was die Nutzer verlangten: einen Tiefseetauchanzug, um auch jenseits von 40 Metern noch Güter zu bergen, einen Tauchanzug, bei dem das Wasser nicht an der Innenseite dieser Maschine mit ihrer anthropomorphen Form herunterläuft. Können wir sagen, dass wir ihm nach 133 Jahren des Schweigens die Geschichte geben können, die Sie gerade gelesen haben, und dass dieser Anzug wie der von Carmagnolle direkt aus der industriellen Revolution stammt. Er sollte nicht länger vor den Augen der Öffentlichkeit verborgen bleiben, sie sind die Zeugen einer Zeit, in der der Mensch tiefer in den Ozean vordringen und die verstreuten Wracks der dunklen Welt des Neptun erwecken wollte. Um die Welt der Anzüge nicht zu verlassen, verraten wir Ihnen in der nächsten Ausgabe der Tauchhistorie alles, was Sie schon immer über den Carmagnolle-Anzug wissen wollten, aber nie zu fragen wagten. Referenzen: Xavier Corré, Konservierungsattaché des Museums von Marseille. Fabrice Denise, Chefkurator für Kulturerbe, Direktor des Historischen Museums, Marseille Véronique Raguseo, Archivarin, Abteilung AD 13 Annie Philippon, Kuratorin, Marseille Florence Richez, Leiterin der Dokumentation DRASSM, Marseille Yann Gaudin Eisenhüttenmeister seit vier Generationen, Marseille Aurore Guglielmetti, Ph.D. Dissertation, Université de Technologie de Compiègn, Université du Québec à Chicoutimi, 2012, A.D.S. Atmospheric Diving Suit La science française, populäre illustrierte Zeitschrift, 1891 Seite 230, Anzüge, Rüstunge [01] Clercin/Daigneault, Le Scaphandre de Marseille Teil 1, TauchHistorie 14 S. 8 t1p.de/vw2v [02] Clercin, Homme de Fer Part 2, französische Version t1p.de/774f [03] Carmagnolle, Panzertaucher, Patent fr339030, 1904 t1p.de/hwlw [04] Zusatzinformationen zum Artikel t1p.de/e2hm